![]() |
|
Spider Murphy Gang - Unplugged | |||||
Für nicht wenige zählt die Spider Murphy Gang (SMG) aus München seit ihrer großen Zeit Anfang der 80er Jahre zur Speerspitze der Neuen Deutschen Welle. Synthirock und Waveanklänge bei z.B. "Wo bist Du", "Ich schau Dich an" oder ihrem größten Hit "Skandal im Sperrbezirk" hatten für dieses Image von Günter Sigl (voc, b) und seinen Jungs gesorgt. 1982 wurde ihnen sogar das "Goldene Bambi" als beste NDW-Band des Jahres verliehen! Daß die Schwabinger Jungs eigentlich als traditionelle, fast puristische Rock'n'Roll-Kapelle begonnen hatten, vergaßen viele, als alles, was Deutsch sang und frech klang, mit dem Label "NDW" behaftet wurde. Auch nach dem jähen Ende der bedeutsamsten und folgenreichsten nationalen Poprevolution galten die Spiders - wie Sigl und Co. von ihren Fans liebevoll genannt werden - landläufig als NDW-Altstars, zumindest aber (und zunehmend) als Mundartpopband... Radiokompatible Arrangements, die niemandem wehtun, oft süßliche Melodien und weichliche Rhythmen auf ihren LP-Werken im Anschluß an die große Hitphase taten das übrige dazu, eine solche Schubladisierung konsequent aufrechtzuerhalten. Nun - 20 Jahre, nachdem Sigl und die Seinen Hitparaden, Jugendzeitschriften und sogar die große Münchener Olympiahalle stürmten - tritt die SMG den endgültigen Beweis an, daß sie weder eine abgewrackte NDW-Combo noch eine schlichte Popband fürs Alt-Damen-Radioprogramm ist - und dies schlußendlich auch niemals war. Auf ihrem aktuellen Album "Unplugged - Skandal im Lustspielhaus" (SPV/VÖ: 24.01.2004) frönen Sigl und Gitarrist Barney Murphy (die als letztes aus der Urbesetzung weiterhin mit von der Partie sind) womöglich erstmals seit ihrem Durchbruch 1979/80 genau jenen musikalischen Passionen, die sie wohl immer spielen wollten - hätte ihnen die damals aufkeimende NDW nicht einen (kommerziell allerdings durchaus einträglichen) Strich durch die Rechnung gemacht! "Zurück zu den Wurzeln" lautet das Motto einer Band, die sich von einem Hitparaden-Topact in den 80ern zur schwitzigen Livelegende in den 90ern entwickelte und alleine 2003 rund 200.000 Fans bei über 80 Live-Terminen begeisterte, ob in vollen Hallen, riesigen Festzelten oder angesagten Clubs. Rock'n'Roll - oder wie Sigl so schön "boarisch" formuliert - "Rax'n'Roi" pur und ohne Abstriche ist angesagt in ihrem stromlosen Programm, das die Band bislang 16 mal im Münchener "Lustspielhaus", der legendären Kabarett- und Kleinkunstbühne im tiefsten Schwabing zwischen Leopoldstraße, Münchener Freiheit, Wedekindplatz und Englischem Garten, aufführte. Kaum war ein geplanter Auftritt öffentlich geworden, schon waren die Karten innerhalb nur weniger Tage restlos weg. Diejenigen, denen es tatsächlich gelungen war, eines der begehrten Tickets zu ergattern, konnten stolz sein. Sie erlebten eine Spider Murphy Gang, die jung, verspielt, frisch in ihre Musik verliebt klang, wie in ihren Anfangstagen vor 27, 28 Jahren, "drüben im Memoland", wo die SMG einst als Hausband fungierte, die Sonntag für Sonntag mit Chuck Berry- und Elvis-Standards aufwartete und sich schnurstracks nach oben spielte. Pop, Mainstream, Hochglanzarrangements, NDW-Spielereien und Synthiharmonien - all dies blieb vor der Tür, als vom 8. bis 11. Oktober vergangenen Jahres der "Skandal im Lustspielhaus" aufgenommen wurde. Hineingelassen wurden: Rockabilly, Jazz, Boogie Woogie, Swing, Zydeco, Country, Ragtime, Blues - Stilrichtungen, mit denen man heutzutage (leider) nur noch Spezialisten, Fachleute und "ewiggestrige" Musikfanatiker, die auf ihren "reaktionären" musikalischen Vorlieben nicht ohne Stolz verharren, begeistern kann - diese dann aber richtig und vollständig. Hank Williams' "Honky Tonk Blues", Otis Spanns Meisterwerk "Spann Stomp", der einst von Elvis berühmt gemachte Countryschmachter "Blue Moon of Kentucky" (der im SMG-Arrangement urplötzlich aus dem Wilden Westen in eine Jazzkneipe nach New Orleans reist!), Carl Perkins' "Blue Suede Shoes", Canned Heat's Hymnus auf die Freie Liebe, "Going up the Country", oder der legendäre "Rag Mop" (einst von Peter Petrel und der Rentnerband als unsäglicher und doch unvergeßlicher "Rollmops-Rag" veröffentlicht!) - Sigl und Co. blicken auf ihrer Spurensuche bis auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück. Dies verträgt sich wunderbar mit manchem eigenen Hit: So beginnt die Band, Elvis erste Single "That's all right, Mama" zu spielen und leitet ohne Bruch über in die legendäre "Schickeria". Der 1997 erstmals auf CD veröffentlichte fröhliche Shuffle "Du machst mi high" endet urplötzlich in Rocco Granatas Ewigkeitsliebeserklärung "Marina"; mitten während des - mit einer Menge an Percussions neuartig inszenierte - "Rock'n'Roll Rendezvous" geht's ab ins Gefängnis - die Ballade landet unversehens in Elvis' "Jailhouse Rock". Und zum Schluß beweist ein weiteres derartiges Medley, daß "Skandal im Sperrbezirk" für die Jugend der 80er nahezu die gleiche Bedeutung gehabt hatte, wie Bill Haley's "Rock around the Clock" für die Halbstarken der Adenauer-Ära. NDW-Klassikern wie "Wer wird denn woana", "Ich schau Dich an (Peep, Peep)" oder "Pfüati Gott, Elisabeth" nimmt die SMG "unplugged" alles künstliche, synthetische der Originale aus den kühlen 80ern; "Sommer in der Stadt" (1982) mutiert zu einer melancholischen, stimmungsvollen Ballade, bei deren Hören man den romantischen Ausklang eines Großstadtsommerabends förmlich durch die Lautsprecher riechen kann - ja, und Chuck Berrys "Johnny B. Good" mutiert - man höre und staune - zu einem urbanen, sanft groovenden Slow-Swing, mit freejazzigen Pianoimprovisationen und einem völlig unerwarteten, aber doch nicht unpäßlichen Querflöten(!)-Solo. Dazu eine Menge eigener Standards aus 25 Jahren Bandgeschichte: "Mir san a bayerische Band", "Mit'n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia", "Ich grüße alle und den Rest der Welt" und viele andere deutsche Rock'n'Roll Songs, die oft Musikgeschichte geschrieben haben und noch heute zu den Klassikern nationaler Rockmusik zählen, gespielt von einer Band, die - dies wird einem, während der "Skandal im Lustspielhaus" im CD-Spieler rotiert, zunehmend klarer - eine lange Zeit chronisch unterschätzt wurde. So richtig ausgetobt wird sich an den unvergänglichen angloamerikanischen Standards, die eigenen Songs wirken nicht selten wie reine Pflichterfüllung. Frontmann Günter Sigl gefällt sich in der Rolle des Entertainers und musikalischen Reiseführers; zunehmend erwacht der Kabarettist in ihm, wenn er den handverlesenen Fans im Münchener Kleinkunsttempel Nummer Eins satirische Geschichten aus 25 Jahren Spider Murphy Gang erzählt. Gitarrist Barney Murphy läßt den ansonsten gerne (augenzwinkernd) dargestellten Poser zu Hause und entlockt seinem strikt akustischen Instrument nur das nötigste; Pianist Ludwig Seuß glänzt durch korrekten Boogie Woogie, fühlt sich aber auch in Jazzgefilden nicht fremd, Bläser Otto Staniloi bedient mal sachte, "smooth", mal kräftig, heiß sein Instrument und vermittelt dem Zuhörer oft den Eindruck, er befände sich in einem verräucherten Jazzclub. Paul Dax und Dieter Radig an diversen Schlaginstrumenten verleihen dem ganzen den richtigen Rhythmus. 24 Songs auf zwei CDs, 63 Minuten pure, unverblümte Roots-Klänge, dazu 25 Minuten deftige, politisch oft very unkorrekte Spitzen über die Schwulitäten der Herren Biolek und Mooshammer, oder gegen den Irrsinn, daß das hyperöde Formatradioprogramm des "Bayerischen Rundfunks" seit Jahren keine bayerische Rockmusik mehr spielt. Günter, Barney und ihren Mistreitern sei geraten, genau diesen, auf "Skandal im Lustspielhaus" begonnenen Weg weiterzubeschreiten, fortzuentwickeln: Kabarett plus "Rax'n'Roi" pur, ohne Mätzchen und mit viel Freude vorgetragen. Bei der Produktion der nächsten Studio-CD sollte jeglicher kommerzorientierte Produzent mit Euroscheinen in den Augen vor der Tür bleiben! (Gesamtnote: Bestwertung) (Holger Stürenburg, 13./14. Januar 2004) |
|
Spider Murphy Gang - Zeitreise 4CD Box | |||||
Im November 2002 feierte die Spider Murphy Gang (SMG) ihr 25jähriges Bestehen mit fünf ausverkauften Konzerten im Münchener Circus Krone. Eine Woche lang befand sich das alte Gemäuer an der Marsstraße fest in der Hand der Gang und ihrer Spider Murphy Fans. Gemeinsam mit befreundeten Künstlern - Willy Astor, Peter Kraus, Dr. Will, Sportfreunde Stiller etc. - sowie einer zusätzlichen Bläsersektion, zelebrierten Günter Sigl (voc, b) und Barney Murphy (git) - nur sie sind von der Originalbesetzung übriggeblieben -, begleitet von den Neumitgliedern Paul Dax (dr), Otto Stanioli (sax), Ludwig Seuß (key) und Willie Duncan (git), ihre vielen Hits und Liveklassiker aus einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte. Zu diesem Anlaß - wenn auch mit einjähriger Verspätung - legte ihre frühere Firma EMI-Electrola soeben ein mit viel Liebe und Geschick zusammengestelltes Box-Set vor: "Zeitreise - 70 Songs aus 25 Jahren". Obwohl wahrlich nicht alle 70 Songs auf den insgesamt vier CDs reale Hits, Ohrwürmer und Evergreens sind - gerade die Produktionen aus den letzten zehn Jahren kamen oft klischeehaft, müde und kraftlos daher -, macht das Box-Set seinem Namen alle Ehre. Gerade weil die SMG - obwohl jeglicher Zeigefinger-Mentalität und ideologischer Agitation abhold - in ihren Texten immer wieder zeitnahe Themen aus Politik und Gesellschaft aufgegriffen und häufig satirisch aufbereitet hat, bieten die vier CDs nicht nur eine musikalische "Zeitreise", sondern auch eine durch mannigfaltige deutsche Befindlichkeiten der 80er und 90er Jahre! In ihren Anfangstagen fungierte die 1977 von Sigl und Murphy mit Michael Busse (key) und Franz Trojan (dr) gegründete ehemalige Top-40-Band als hauseigene Livesensation im Schwabinger Club "Memoland" und spielte klassische Rock'n'Roll-Standards von Elvis oder Chuck Berry nach, bis BR-Redakteur Georg Kostya sie eines Tages dort entdeckte und umgehend als musikalisches Maskottchen seiner alle vier Wochen ausgestrahlten Sendung "Rockhouse" engagierte. Schon 1979 hatte Kostya seinen Schützlingen einen Plattenvertrag besorgt; es erschien - außerhalb Münchens noch weitgehend unbemerkt - die erste offizielle LP "Rock'n'Roll Schuah", deren erste Single "Rock'n'Roll Rendezvous" 50.000 Bürger der Weltstadt mit Herz dazu verführte, sich den LP-Erstling zuzulegen, der alles das an Charme, Spielfreude, Power, aber auch genialischer Naivität und konstruktiver Unkommerzialität beinhaltete, was Debütalben im allgemeinen so an sich haben. Alles weitere besorgte die langsam einsetzende Neue Deutsche Welle - und der Rest ist Geschichte! In den 25 Jahren ihres
Bestehens hat die SMG insgesamt zehn reguläre Studioalben, zweieinhalb
Live-LPs und zahllose Kompilationen veröffentlicht. Daraus finden sich
auf "Zeitreise" in chronologischer Reihenfolge die 70 wichtigsten und
bekanntesten Lieder; jedem Studioalbum wurden sechs bis acht Songs entnommen;
zudem enthält die vierte CD Livemitschnitte von den 20jährigen (1997)
bzw. 25jährigen (2002) Jubiläumsfeierlichkeiten. Natürlich sind nahezu
alle Hits der SMG auf "Zeitreise" zu finden. Allen voran der legendäre
"Skandal im Sperrbezirk", der mit seinem banduntypischen Synthiarrangement
den Jungs um Günter Sigl Tür und Tor in die Anfang der 80er mächtig florierende
Neue Deutsche Welle öffnete. Obwohl sich die SMG von jeher als traditionelle
Rock'n'Roll-Kapelle verstand, sorgte der "Skandal" dafür, daß das bayerische
Quartett plötzlich als die neueste NDW-Sensation gefeiert wurde. Der schlüpfrige
Text, der von der Prostituierten "Rosie" erzählt, die mitten im von der
Münchener Stadtregierung Ende der 70er Jahre ausgerufenen "Sperrbezirk"
höchst erfolgreich ihren Geschäften nachging, während ihre gesetzestreuen
Kolleginnen "draußen vor der großen Stadt" vergeblich auf Kundschaft warteten,
brachte die Band bundesweit ins Gespräch. Der Bayerische Rundfunk boykottierte;
doch gerade dieser Umstand trug die Band in die Schlagzeilen. Da der "Skandal"
wohlweislich auf hochdeutsch intoniert wurde, geriet die eingängige Nummer
zu einem der republikweiten Sommerhits 1982. Landauf, landab hörte man
die Geschichte von "Rosie" und ihrer legendären Telephonnummer "32 16
8". Das von Produzent Harald Steinhauer ausgeklügelte Arrangement auf
Synthibasis, das durch plötzlich einsetzende Sirenenklänge und eine allgemein
bedrohlich/aufwühlende Stimmung dem Ganzen einen noch "skandalöseren",
dramatischeren Klang verlieh, ging ganz Deutschland nicht mehr aus dem
Kopf. Blödelbarde Otto Waalkes machte daraus den "Skandal im Hexenhaus",
Kollege Mike Krüger den "Skandal im Stadtverkehr". Auf mancher Friedensdemo
jener Tage schmetterten höchst kritische schwäbische Kabarettduos vom
"Skandal um Ronnie"; erst vor kurzem meldete sich der Hamburger Kollege
Dichter Gnadenlos mit dem "Skandal im Wollenberg" zu Wort (Auszug: "Der
Richter hat ne Erektion / Die Presse hat die Bilder schon... Der Wähler
kuckt ganz irritiert / mit wem der Richter kopuliert / denn niemand, der
den Schill gewählt / wußt, daß der gern junge Frauen quält"...). Im Zuge
des bundesweiten "Skandals" folgte 1982 Hit auf Hit: Im wieder "boarisch"
intonierten Rock'n'Roll "Schickeria" verulkten Sigl und seine Band die
Münchener Tussi-und-Bussi-Gesellschaft; "Ich schau Dich an (Peep, Peep)"
griff thematisch erneut aufs Rotlicht-Milieu zurück; "Wo bist Du?" karikierte
zu Ramones-ähnlichem Wave-Rock Kontaktanzeigen und Eheanbahnungsinstitute.
Anfang 1984 erschien "Pfüati Gott, Elisabeth"; längst kein Rock'n'Roll
mehr, stattdessen zeitgemäßer Synthipop, während "Oh, oh, I mog Di so"
wiederum fast Eins zu Eins auf die Jungs um Joey Ramone zurückgriff. Nach
1985 verkauften sich die Alben der SMG eher schleppend - obwohl musikalisch
wesentlich vielfältiger als Genrekollegen, schienen auch die Münchener
Rock'n'Roller gemeinsam mit der NDW unterzugehen. Doch im Radio fanden
freundliche Pop'n'Roll-Songs wie "Cadillac" (1985), "So a Nacht" (1987),
"Was ist passiert" (1990) oder "Ich grüße alle und den Rest der Welt"
(dto.) weiterhin ihren Platz. Obwohl nur eine ganz kurze Zeit in den deutschen
Top 100 vertreten, gilt die traumhaft romantische Fernfahrerballade "FFB"
(Autokennzeichen für Fürstenfeldbruck) seit ihrem Erscheinen im Frühjahr
1989 als spezifischer Klassiker der SMG, nach dem die Fans bei Konzerten
bis heute lautstark verlangen! Da die SMG stets mit den Füßen auf dem
Boden blieb und - selbst zu den kommerziell einträglichsten Zeiten - niemals
den Kontakt zu den Fans verlor, gab sie Zeit ihres Bestehens über 1000
Livekonzerte in der gesamten Bundesrepublik sowie in Österreich und in
der Schweiz. Als Livefavoriten entpuppten sich oft vollkommen andere Songs,
als diejenigen, die die Verantwortlichen bei den Plattenfirmen als Single
auskoppelten. Etwa das Chuck-Berry-Cover "Autostop nach Schwabing" ("Little
Queenie"), die einstige B-Seite vom "Skandal", "Vis-a-vis", oder "Sommer
in der Stadt", die stimmungsvolle und auf den Punkt treffende Beschreibung
eines Münchener Hochsommers, zählen bis heute zu den Konzertfavoriten
von Fans wie Band. Auch solche Geheimtips befinden sich (allerdings in
den Studiooriginalen) auf "Zeitreise". Günter Sigl erzählt, daß ihm seine
Texte oft beim Durchblättern der Tagespresse einfallen und er daher häufig
nur wenige Minuten benötigt, die Grundlagen eines Songs zu verfassen.
Folglich fanden immer wieder politische und gesellschaftliche Strömungen,
Meinungen und Ereignisse Eingang in seine Lyrik. Dies passierte zumeist
in ironischer, gar sarkastischer Manier, und ging nur selten platt und
klischeebeladen vonstatten. Ob Jugendperspektivlosigkeit ("Freizeit 81",
1982), Arbeitslosigkeit ("Dankeschön, Danke", 1984), Nachrüstung ("Amerika",
1987), Asylrechtsdebatte ("BRD", dto.) oder der "Steuerflüchtlings-Blues"
(1997) - die SMG blieb mit den Ohren dicht am Zeitgeschehen, drosch aber
kaum linke Phrasen, artikulierte eher eine kleinbürgerlich/kindliche Wut
über manche politischen Zustände in diesem unserem Lande. Herausragend
und heute bereits historisch: Die grazile Ballade "Mädchen drüben", geschrieben
und gesungen von Schlagzeuger Franz Trojan nach der "DDR"-Tournee im Herbst
1983; auch 20 Jahre nach "1984" weiterhin aktuell: "Der gläserne Mensch"
(2002), einer der wenigen neuen Songs mit realem Niveau und Weitblick.
Auch die meisten anpolitisierten Lieder der SMG sind auf "Zeitreise" geballt
nachzuhören! (Dichter Gnadenlos kann an dieser Stelle jedoch sein Bedauern
darüber nicht verhehlen, daß die EMI-Leute die herrliche 87er-Parodie
"Komm ins Kommunale Puff" bei der Songauswahl für das Box-Set nicht bedacht
haben; zwar schon 16 Jahre alt, ist der muntere Popsong in Anbetracht
ähnlich ausgerichteter Interessen verschiedenster hanseatischer Bürgerschaftsabgeordneter
und Senatoren weiterhin von beißender Aktualität...) Im schlaffen Zeitgeist
der 90er Jahre hatte die SMG allerdings nicht viel zu melden. Sie glänzte
als brillante Liveband all over the Bundesrepublik; ihre wenigen Plattenproduktionen
erwiesen sich häufig als peinlich. So wollte etwa von der 97er-CD "Keine
Lust auf schlechte Zeiten" kaum ein Song so richtig zünden. Doch auch
Spaßbremsen wie "Liebe machen", "Mir san prominent" oder "Unterm Kastanienbaum"
werden auf "Zeitreise" breitgetreten, wie auch ganze sechs Songs ihres
letzten Studioalbums "Radio Hitz", von denen über die Hälfte schlicht
mangelhaft sind. Dafür entschädigen jedoch die vielen Liveaufnahmen am
Schluß der Kollektion. Isar-Indianer Willy Michl singt einen etwas drogengeschwängerten
deutsch/englischen Text zu Chuck Berrys "Johnny B. Good", Austrorocker
Wolfgang Ambros hilft beim "Skandal" am Mikrophon aus. Nicht unspannend
auch die akustischen Versionen von "Sommer in der Stadt" und "Pfüati Gott,
Elisabeth", von der SMG bei ihrem 25jährigen gemeinsam mit Kultkomiker
Willy Astor intoniert, und ein guter Appetitanreger für ihr im Januar
2004 veröffentlichtes "Unplugged"-Doppelalbum "Skandal im Lustspielhaus".
Bayern-Blueser Dr. Will singt mit beim "Schuitog" (frei nach Chuck Berrys
"School Days"), die Sportfreunde Stiller aus dem kleinen Münchener Vorort
Unterhaching verjüngen den 82er-Wave-Hit "Wo bist Du?!". Das ganze wird
umrahmt von zwar nie so richtig bekannt gewordenen, aber doch oft sehr
interessanten Albumtracks wie "So a schöner Tag" (bitterböser Wave'n'Roll,
1982), "Beate Uh" (ein weiterer textlicher Untergriff ins Milieu, 1985),
"Überdosis Rock'n'Roll" (auf den Harmonien von Bob Segers "Old Time Rock'n'Roll"
basierend, 1987) "Munich City Girl" (Hochglanz-Synthipop, 1990) oder "Hokuspokus"
(SMG goes Funky, dto.). So ist "Zeitreise" eine korrekte und quantitativ
gerecht verteilte Zusammenstellung der 25jähtrigen Bandgeschichte der
Spider Murphy Gang mit all ihren Himmelstürmern und ihren Schlaftabletten-Bewerbungsmelodien.
Schade ist jedoch, daß die Verantwortlichen bei der Titelauswahl keine
jener Raritäten hervorgekramt haben, für die überzeugte SMG-Freaks seit
Jahren die Plattenbörsen abklappern. Hier seien z.B. die bayerischen Versionen
der Elvis-Klassiker "One Night with you" und "Jailhouse Rock" genannt,
die 1984 von der SMG für die ARD-Hommage "Hallo Elvis" eingespielt wurden,
oder die erste, nie auf einem Album erschienene Ariola-Single "Der Königsjodler"
(1986). Auch die höchst erfolgreiche Live-LP aus dem Herbst 1983 wird
mitsamt der daraus ausgekoppelten Hitsingle "Mir san a bayerische Band"
mit keinem Takt erwähnt. Trotzdem zeigen die versammelten 70 Songs, daß
die Spider Murphy Gang stets mehr war als eine traditionelle Rock'n'Roll-Band,
die zeitweise auf NDW getrimmt wurde. Oft fanden stilferne Elemente aus
Reggae, New Wave, Synthipop, Schlager, Zydeco, Blues, Pop, gar Rap, Funk
oder Hip Hop Eingang in die Kompositionen und Arrangements; immer wieder
schuf Sigl Textzeilen, die schnell zu "geflügelten Worten" wurden. Die
neueren Aufnahmen jedoch machen überdeutlich, daß die Spiders seit Jahren
auf der Stelle treten. Ein bißchen mehr Mut, weniger Schielen auf Middle-of-the-Road-Sender
für ältliche Damen, und ein noch intensiveres Studium der Tagespresse
würden schleunigst dazu beitragen, daß Sigl und den Seinen bald wieder
Songs der Güteklasse "Skandal", "Fürstenfeldbruck" oder "Autostop nach
Schwabing" einfielen - und auch in den nächsten 25 Jahren mehr als 70
Songs entstünden, derer man sich zum 50jährigen Bandjubiläum gerne erinnern
mag! |
|